Was ist Verhaltenstherapie?

Verhaltenstherapie gilt heute als das am besten untersuchte, wissenschaftlich abgesicherte Verfahren der Psychotherapie. Im Fokus der Therapie stehen das Denken, Fühlen und Handeln und die gezielte Veränderung auf diesen Ebenen. Verhaltenstherapie bezieht den Patienten aktiv mit ein und legt großen Wert auf die praktische Wirksamkeit im Lebensalltag.

Die Verhaltenstherapie ist neben der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie und deren Ursprung, der Psychoanalyse, eines der drei Hauptverfahren in der deutschen Psychotherapie. Die klassische Psychoanalyse kommt allerdings nur noch in etwa fünf Prozent der Fälle zur Anwendung.

Moderne Verhaltenstherapie setzt hauptsächlich auf drei Ebenen an: Der Handlungsebene, der Ebene der Gedanken und der Gefühlsebene. Ziel ist es, dass der Klient die Ursachen und Zusammenhänge seiner Beschwerden auf allen drei Ebenen versteht und dass er lernt, wo - und vor allem wie - er selbst Veränderungen auf jeder dieser Ebenen herbeiführen kann. Der Therapeut wird ihn dabei tatkräftig unterstützen, legt aber Wert auf die Mitarbeit des Klienten. Denn schließlich ist er es, der möglichst bald wieder ein befriedigenderes Leben führen können soll.

Warum heißt diese Therapieform "Verhaltenstherapie"?

Wenn man verstehen will, was die moderne Verhaltenstherapie auszeichnet und wie sie zu ihrem erklärungsbedürftigen Namen kam, muss man ihre mehrphasige Entwicklung im historischen Kontext betrachten.

Etwa in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts kam bei einzelnen Erforschern der menschlichen Psyche Unzufriedenheit mit der Psychoanalyse auf, während schon einige Jahre früher in zahlreichen Experimenten vielversprechende neue Erkenntnisse über bestimmte Verhaltensweisen und psychische Reaktionen gewonnen wurden (Behaviorismus, Verhaltens- und Lernpsychologie). Die Psychoanalyse sei mit ihren vielen bis dahin weitgehend unbewiesenen Grundannahmen und dem großen Stellenwert der "Deutung" nicht wissenschaftlich genug, so die Kritik. In solchen Situationen der Unzufriedenheit neigen wir Menschen oft dazu, einen radikalen, entgegengesetzten Weg einzuschlagen. So war es auch hier. Einige Forscher wollten nur noch gelten lassen, was mit wissenschaftlichen Experimenten - ohne fragwürdige Deutungen - reproduzierbar nachgewiesen werden kann. Aber auch völlig unabhängig von der Unzufriedenheit mit der Psychoanalyse sollte die psychologische Forschung auf eine solide, experimentelle Basis gestellt werden, um volle wissenschaftliche Anerkennung zu finden.

Lediglich das von außen beobachtbare Verhalten als Reaktion auf bekannte Stimuli (Reize, Auslöser, Ursachen), erfüllte diese strengen Kriterien. Darüber zu spekulieren, was in unseren Köpfen vorgeht, sei weder wissenschaftlich, noch notwendig. Die menschliche Psyche wurde damals als "Blackbox" angesehen, die auf bestimmte Reize mit vorhersagbarem Verhalten reagiert.

In den nächsten Jahrzehnten wurden dann erste verhaltenstherapeutische Verfahren für die Behandlung von Angststörungen entwickelt, wobei man davon ausging, dass Ängste in erster Linie das Ergebnis ungünstiger Lernvorgänge sind. Daraus schloss man, dass es auch möglich sein muss - durch gezielte therapeutische Lernvorgänge - neue Verhaltensweisen zu erlernen, beziehungsweise die Angstreaktion wieder zu verlernen. Dabei war man durchaus erfolgreich und der neue Therapieansatz wurde in den Sechzigerjahren erstmals unter der Bezeichnung "Verhaltenstherapie" zusammengefasst.

Die Weiterentwicklung zur kognitiven Verhaltenstherapie

In weiterer Folge kam man immer mehr zur Einsicht, dass mit dem soeben beschriebenen Reiz-Reaktions-Prinzip der Behavioristen zwar vieles, aber doch nicht alles erklärbar ist. Weil diese neue Therapiebewegung ja von Anfang an großen Wert auf Wissenschaftlichkeit legte, kam man nicht umhin, die Vorgänge innerhalb unserer Psyche als ebenso relevant anzusehen. Denn die bisherigen Erklärungsmodelle konnten nicht vollständig sein. So kam es vor allem in den Sechzigerjahren und bis in die Siebzigerjahre zu einer vermehrten Berücksichtigung der "Kognition": Denkvorgänge, Wahrnehmung und Aufmerksamkeitslenkung, aber auch Grundannahmen über die Welt und über uns selbst, unsere Vorurteile und unsere Wünsche.

In der Rückschau ist es heute üblich, diesen Erweiterungsprozess der Verhaltenstherapie als "kognitive Wende" zu bezeichnen - das Ergebnis der Berücksichtigung der Erkenntnisse der "kognitiven Psychologie". Die Erweiterung des Therapiemodells um innerpsychische Vorgänge hat sich besonders bei der Behandlung der Depression bewährt, deren damals noch schwierige Behandlung einer der Gründe für die Suche nach besseren Methoden war. Heute hat sich die kognitive Verhaltenstherapie nicht nur bei der Behandlung depressiver Störungen, sondern auch vieler anderer seelischer Leiden in der Praxis bewährt, weil sie nachweislich wirksam ist.

Aktuelle Entwicklungen in der Verhaltenstherapie

Während das ursprüngliche stark am Verhalten orientierte Modell also um die Denkvorgänge erweitert wurde, zeigte sich im weiteren Verlauf erneut, dass weitere Verbesserungen der Erklärungsmodelle und Behandlungsmethoden notwendig und möglich sind. Besonders seit den Achtzigerjahren kam es zur Hinzunahme achtsamkeitsbasierter Methoden, die ursprünglich aus dem fernen Osten stammen, etwa aus dem Buddhismus. Immer mehr begann man auch Methoden anderer Therapieschulen zu integrieren, wenn diese sich in der praktischen Anwendung als wirksam herausstellten. So haben zum Beispiel die tiefenpsychologisch orientierten Therapieschulen die Bedeutung zwischenmenschlicher Interaktion in der Familie und im erweiterten sozialen Umfeld schon sehr früh erkannt. Allmählich ist auch die verhaltenstherapeutische Gemeinschaft bereit, diesen wichtigen Faktor zu berücksichtigen. Die Verhaltenstherapie beginnt sich mehr und mehr für biografische Lebenserfahrungen zu interessieren, weil diese bei der Entwicklung psychischer Leiden eine wichtige Rolle spielen. Gleiches gilt für den Bereich der Emotionen und Gefühle, die jetzt immer mehr in den Fokus der Therapie rücken.

Eigentlich hätte die Verhaltenstherapie einen neuen, treffenderen Namen verdient. "Universaltherapie" wäre wohl etwas zu vermessen, würde den Charakter der zeitgenössischen Verhaltenstherapie aber wesentlich treffender beschreiben. Weil diese Therapieform von Anfang an wissenschaftlich orientiert und um lebenspraktische Verbesserungen bemüht war, steht heute innerhalb der Verhaltenstherapie ein äußerst umfangreicher "Werkzeugkoffer" an hilfreichen Therapiebausteinen zur Verfügung. Immer mehr beginnen sich allgemein anwendbare Standardverfahren und zusätzlich notwendige störungsspezifische "Spezialbehandlungen" herauszukristallisieren. Dabei wird großer Wert darauf gelegt, Erfolge aus der therapeutischen Praxis auch wissenschaftlich abzusichern. Was dieser Prüfung standhält, darf bleiben, anderes wird weiter verbessert oder wieder verworfen. Insgesamt ist dies eine sehr erfreuliche Entwicklung zugunsten der vielen hilfesuchenden Menschen.

Wichtige Kernmerkmale moderner Verhaltenstherapie

Aus wissenschaftlicher Sicht

  • Die Verhaltenstherapie geht nicht auf einen einzelnen charismatischen Begründer zurück und ist daher freier in ihrer Weiterentwicklung als einige andere Therapierichtungen.
  • Experimentelle Erkenntnisse haben Vorrang vor Theorien. Dies bewirkt praktische Effektivität und Effizienz.
  • Offenheit für laufende Verbesserungen und Korrekturen dort, wo sie nötig sind.
  • Laufende wissenschaftliche Überprüfung empirischer Befunde. Was hilft dem Klienten wirklich?
  • Differenzierung zwischen Standardvorgehen und notwendigen störungsspezifischen Zusatzverfahren.

Aus der Sicht des Klienten

  • Klient und Therapeut arbeiten auf Augenhöhe partnerschaftlich zusammen.
  • Verhaltenstherapie ist problem- und gleichzeitig lösungsorientiert.
  • Das Ziel der Behandlung wird am Beginn der Zusammenarbeit zwischen Klient und Therapeut vereinbart und laufend im Auge behalten, falls nötig korrigiert.
  • Verhaltenstherapie ist eine handlungsorientierte Psychotherapie. Es soll nicht nur über Probleme geredet und reflektiert werden, sondern in der Therapie werden konkrete Handlungsmöglichkeiten erarbeitet, die der Klient dann selbstständig im Lebensalltag anwenden kann und soll.
  • Verhaltenstherapie legt großen Wert auf Transparenz. Der Klient soll stets wissen, was man macht und warum man es macht. Er ist an therapeutischen Entscheidungen mitbeteiligt.
  • Die genaue Vorgehensweise wird störungsabhängig und an die individuellen Bedürfnisse des Klienten angepasst.
  • Der Klient soll seine Beschwerden umfassend verstehen und selbst zum "Verbesserungs-Experten" werden, ohne in langfristige Abhängigkeit vom Therapeuten zu geraten.

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